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Das gute Vergessen

Foto: Eugene Golovesov (Pexels)
Foto: Eugene Golovesov (Pexels)

Wir haben Angst vor dem Vergessen


Vergessen ist in der Gesellschaft ein Zeichen von Schwäche, von Kontrollverlust. Vergessen verursacht Unzuverlässigkeit und kann sich bis zur Krankheit steigern. Vergesslichkeit nervt. Dabei ist das einer unserer größten Stärken. Wir vergessen viele Fakten. Wie hieß noch mal der Ort, an dem wir damals Urlaub gemacht haben? Der süße Englischlehrer aus der fünften Klasse? Die ehemalige Klassenkameradin, die man zufällig an der Kasse trifft? Man kann sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern. Und das ist ein sehr wichtiger Prozess, denn das Vergessen hilft uns, Unwesentliches vom Wesentlichen zu trennen.

Vergessen ist lebenswichtig

Die meisten Bilder verschwinden einfach weil sie nicht so wichtig sind. Das Gehirn optimiert so seine Informationsverarbeitung. Optimieren heißt: nicht zu viel mitzuschleppen, sich von Überflüssigem befreien. Das Grundmotiv ist die schnelle Informationsverarbeitung. Je weniger zur Auswahl steht, desto schneller findet man die Information, die benötigt wird. Auch Abstraktion ist ein Prozess der Komplexitätsreduktion und dient der Beschleunigung der Informationsverarbeitung. Festgehalten wird nur, was eine Bedeutung hat und auf der Bühne unseres inneren Lebenstheaters wichtig ist. Vergessen ist lebenswichtig. Wer nicht vergessen kann, ist auch nicht fähig zu leben.

Die Forschung stellt fest, dass die erinnerten Bilder mit der Zeit an Leuchtkraft, Farbigkeit und Kontur verlieren. Ein Bild, das man 20 Jahre in sich trägt, ändert sich in seiner Klarheit allerdings nicht mehr. Man könnte also sagen: Eine Erinnerung ist zunächst bildlich verfasst, hat aber auch eine Verbindung auf einer abstrakten Ebene. Durch seine Bedeutung für den Einzelnen erhält es eine andere neuronale Repräsentation.

Ein gutes Bild definiert sich durch das, was es nicht zeigt.

Die Erinnerung begnügt sich mit dem, was da ist und schreibt daraus die Geschichte eines Lebens. Sie entscheidet nicht über Leben und Tod. Auf der konzeptionellen Ebene ist das Erinnern eher in gewisser Weise ein Wiedererleben der Vergangenheit. Aber ohne Erinnerung bleibt nur das Nichts.

 

Autorin: Anemone Zeim, Vergiss Mein Nie


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