
Erinnerungswerkstatt: Dedes Hände
An einem sonnigen Herbsttag sitzen Ayse und ihre acht Jahre alte Tochter Mavi bei uns im Büro. Sie möchten uns ihre ganz besonderen Erinnerungen an Opa Dede erzählen, der letzten Sommer gestorben ist.
Die Hände waren schön, voll runzelig.
Mavi: „Meinen Opa Dede hatte ich gerne. Was mich am meisten an ihn erinnert sind Minibananen. Weil er die halt immer gerne gegessen hat. Ich mag die eigentlich gar nicht so gerne, aber wenn ich die jetzt irgendwo sehe, werde ich traurig.“
Mavi denkt nach.
„Aber meine Lieblingserinnerung sind seine Hände, immer schon eigentlich, aber jetzt sind sie halt auf Fotos, da erinnere ich mich dann auch immer an ihn und da kann ich ihn ankucken. Die Hände waren schön, voll runzelig. Und braungebrannt auch. Die fand ich schön."
Mein Opa würde auf jeden Fall „ja“ sagen, wenn man ihn fragen würde, ob es ihm gut geht.
Ich weiss noch als Opa gestorben ist, das war traurig. Ich hab ihn nochmal gesehen, da sah er aber komisch aus. Irgendwie ganz gelb im Gesicht, das hat mich ein bisschen erschreckt. Aber dann hab ich seine Hände angefasst und die haben sich eigentlich genau wie seine Hände angefühlt. Ganz normal.
Er war irgendwie nicht mehr so richtig da, aber ich hab ihn noch gesehen. Ich war traurig. Ich glaube, dass er immer noch bei uns ist, ich glaube, dass er immer noch auf uns aufpasst, dass wir ihn halt nicht sehen können, aber wir können die Augen schließen. Und dann sehen wir ihn wieder.“
Mavi lacht. Mavi weint. Mavi malt.
Mavi denkt noch intensiver nach.
„Manchmal möchte ich viel über Opa sprechen, so wie jetzt, weil ich dann einfach alles rauslassen kann. Dann werde ich zwar auch traurig, aber es tut gut. Mein Opa würde auf jeden Fall „ja“ sagen, wenn man ihn fragen würde, ob es ihm gut geht. Er hat gesagt, bevor er gestorben ist, dass er immer da sein wird, nur eben in einem anderen Zimmer. Und dass er immer auf uns aufpassen wird.
Einmal hab ich von ihm geträumt. Das war schön. Er war da und wir haben gegrillt. Wir haben gefeiert weil ich im Traum Geburtstag hatte! Da ist er vorbeigekommen und im Traum haben wir uns erschreckt, weil wir doch wussten, dass er tot ist.
Und einmal hat die Schwester von Mama geträumt, dass wir alle am Frühstückstisch sitzen, und er kommt rein, holt sich einfach einen Kaffee und eine Zigarette und geht wieder raus. Jetzt würde er sagen, dass er ganz doll auf mich aufpasst und mich immer noch ganz doll lieb hat.“
Wenn Dede einen berührt hatte, dann ging es einem besser
Ayse: „Ich bin da voll Mavis Meinung, es sind seine Hände. Als Kind hat er mich immer viel gestreichelt, den Rücken gekrault, und so viel mit diesen Händen geschaffen - er konnte auch so schön zeichnen. Ich kann mich da gar nicht festlegen auf eine einzige Erinnerung, ich hab gerade so viele gute Erinnerungen an ihn.....hmm vielleicht die: also die ist nicht direkt an ihn, sondern an die braune Cordcouch in seinem Arbeitszimmer. So eine 70er-Jahre Couch, da muss ich oft daran denken, darauf haben wir als Kinder immer gespielt, die Couch in seinem Arbeitszimmer ist voll das Sinnbild für meinen Vater geworden, wie es da riecht, wie seine Sachen da stehen und so...
Außerdem waren die Hände so schön.
Wir haben kurz nach seinem Tod wirklich viel über seine Hände geredet. Gerade auch so die Tage danach, mit meinen Geschwistern. Er hatte wirklich heilende Hände. Er war ja auch Chirurg, so oder so hatte man echt das Gefühl, wenn Dede einen berührt hatte, dann ging es einem besser.
Außerdem waren die Hände so schön. Nach seinem Tod haben wir ganz viel über ihn geredet und eine Woche später gucke ich die Unterlagen durch und finde eine Fotokopie von seiner Hand! Da hat er echt seine Hand auf den Kopierer gelegt und abkopiert. Jetzt haben wir also quasi eine Handfläche von ihm. In Originalgröße! Sieht so ein bisschen merkwürdig aus, aber ich hab mich sehr gefreut als ich diese Kopie gefunden habe. Mein Bruder und ich hatten das Bild ewig als Bildschirmschoner und wir waren glücklich, dass wir seine Hand haben, nicht nur als Foto sondern die Unterseite, mit den ganzen wichtigen Linien drauf. Da kann man seine eigene Handfläche drauflegen.“
Weisst du noch, was wir mit Opas Zähnen gemacht haben?
Mavi malt eine Sonne.
Ayse: „Da war immer viel Sonne, wenn wir ihn in Bodrum besucht haben. Man müsste eigentlich ... da fällt mir noch was ein, da fehlt noch etwas auf dem Bild - seine Hürriyet! Mavi! Also mein Vater und die Hürriyet, das war nicht auseinander zu denken.“
Mavi malt die türkische Tageszeitung Hürriyet.
Ayse: „Mavi. Weisst du noch, was wir mit Opas Zähnen gemacht haben?“
Mavi: „Wir haben sein Gebiss ins Meer geschmissen, das war lustig. Und an seinem Geburtstag haben wir Blumen reingeschmissen!“
Es war lustig und gleichzeitig traurig.
Ayse: „Die hatten uns das Gebiss im Krankenhaus in die Hand gedrückt und wir dachten uns, das können wir nicht einfach in den Müll schmeissen... Aber wir konnten es ja auch nicht behalten! Und dann sind wir ans Meer gefahren, da ist er immer unheimlich gerne schwimmen gegangen und dort haben wir es dann reingeworfen. Es war merkwürdig, sein Lächeln durch die Luft fliegen zu sehen. Es war lustig und gleichzeitig traurig.“
Beide sind eine ganze Weile still.
Mavi: „Ich weiss jetzt, was mich auch noch an Opa Dede erinnert außer den Händen.
Ich glaube die Augen von Mama sind ein bisschen von Opa.“
Ayse: „Glaub ich auch, die blauen Augen hab’ ich von meinem Papa gekriegt.“
Autorin: Anemone Zeim, Vergiss Mein Nie
